Stellungnahme: Berliner Polizeistudie
Vor einigen Tagen ist die Berliner Polizeistudie „Diskriminierungskritische qualitative Untersuchung ausgewählter Dienstbereiche der Polizei Berlin“ erschienen. Sie wurde vom Land Berlin in Auftrag gegeben und durch die Landeskommission Berlin gegen Gewalt der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport gefördert.
Wir als Ihr-Seid-Keine-Sicherheit kritisieren die Ausgangsfragestellungen, Methodik, Darstellungen und Ergebnisse der Studie der Studienleiterin Christiane Howe scharf.
Wir greifen hier nur einige der vielen fragwürdigen Punkte auf:
Die von den befragten Expert*innen geschilderten Fälle rassistischer Polizeigewalt werden in der Studie explizit als „Einzelfälle“ benannt und dadurch delegitimiert. Wir fragen: Wie viele "Einzelfälle" braucht es, um etwas als systematisch oder strukturell zu beschreiben?
Racial Profiling wurde bei der Begleitung der Polizei durch die Forscher*innen gar nicht beobachtet. Daraus schließt Studienleiterin Howe bei der Präsentation der Studie sogar, dass es Racial Profiling „nicht in der Form (gebe), wie es immer kolportiert wird.“ Dies lässt brutale rassistische Polizeigewalt und auch das Ausmaß alltäglicher rassistischer Kontrollen, die wir tagtäglich in unseren Kiezen beobachten, als Gerücht erscheinen.
Und das auf der alleinigen fragwürdigen Basis, dass Racial Profiling bei den begleiteten Ausflügen mit der Polizei nicht vorgefallen sei. Zu diesem Endergebnis bei einer Studie mit Allgemeingültigkeitsanspruch zu kommen lässt uns staunen und an der Methodik der Untersuchung zweifeln.
Die Autor*innen der Studie schreiben, dass sie in vier Treffen die Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport, die Landeskommission Berlin gegen Gewalt und letztlich die Berliner Polizei über den Prozess und Stand ihrer Studie informiert haben. Die Studie verlief mit der Polizei also partizipativ, jedoch nicht mit den befragten Verbänden, die aus Sicht der Betroffenen über rassistische Polizeigewalt gesprochen haben. Wie kann eine Studie zu möglichst objektiven Ergebnissen kommen, wenn die Studienleiter*innen lediglich der Berliner Polizei als beforschte Instanz Rede und Antwort über ihre Zwischenergebnisse stehen müssen, den Polizeigewalt beklagenden Verbänden aber nicht?
Die Verbände als Vertreter*innen von Betroffenen rassistischer Polizeigewalt werden befragt und deren Erfahrungen erscheinen nur als Zitate und im Konjunktiv. Die Polizei wird hingegen mit der Methode "doing things together" begleitet, die Beobachtungen als universelle Wahrheit dargelegt und das gewaltvolle Verhalten der Beamt*innen in der Aufarbeitung emotional und persönlich unterstützt und erklärt.
Passend zu dieser Fokusverschiebung (weg von den Bedürfnissen und der Wahrnehmung der Betroffenen und hin zu einer Empathie mit den Täter*innen) beschreibt die Studie in kleinteiligen Einzelheiten den Polizeialltag: von dem teilweise mit dem Fahrrad bestrittenen Arbeitsweg der Beamt*innen, bis hin zu den mit Fernsehern ausgestatteten Aufenthaltsräumen. Die Relevanz dessen bleibt unklar. Generell wird deutlich: Sowohl in der Untersuchung als auch in den Empfehlungen wird den Arbeitsbedingungen, Stress und der psychischen Verfassung der Beamt*innen eine zentrale Bedeutung beigemessen.
Es entsteht der Eindruck, dass die Forscher*innen von vornherein nicht über rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung als der Institution inhärent nachdenken wollten.
Stattdessen führt die Studie rassistische Polizeigewalt, wenn es diese laut den Forschenden denn überhaupt gibt, auf individuellen Stress zurück. Rassistische Polizeigewalt auf Stress und Überlastung zurückzuführen ist einfacher, als die komplexe historische Gewachsenheit und strukturelle Funktion der Polizei zu verstehen. Leicht umsetzbare Handlungsempfehlungen, die die Polizei mit mehr Mitteln ausstattet: Das gefällt vor allem der Polizei und dem Innensenat.
Kurz gesagt: Mit einer vorgegebenen Objektivität einer wissenschaftlichen Studie wird hier rassistische Polizeigewalt und strukturelle Diskriminierung legitimiert!
Eine Studie, die sich selbst diskriminierungskritisch nennt, verschleiert bewusst die Systematik, die hinter rassistischen Kontrollen und damit einhergehenden Demütigungen, Traumatisierungen, Unsicherheiten, Kriminalisierung und Vertreibungen steckt.
Letztendlich laufen die meisten Empfehlungen der Studie auf eine Ausweitung der Kompetenzen, Zuständigkeitsbereiche und des Budgets der Polizei hinaus. Grundlegend empfiehlt die Studie eine „Professionalisierung". Diese soll vor allem aus mehr Fortbildungen zu allen möglichen Themen sowie besseren Arbeitsbedingungen für die Polizeibeamt*innen bestehen. Die Betroffenenperspektive wird in den Empfehlungen mit keinem Wort genannt.
Wir als Abolitionist*innen lehnen Reformen ab, die der Polizei mehr Mittel zugestehen. Das bietet die Grundlage für eine weitere Versicherheitlichung unserer Städte und die Kriminalisierung von Migrant*innen und armen Menschen.die Polizei schafft Probleme oder verdrängt sie. Lösen tut sie sie nicht!
Schon jetzt gibt es Antidsikriminierungstrainings und die Polizei Berlin ist im Vergleich eine der diversesten der Bundesrepublik. Das ändert nichts an der fortbestehenden rassistischen Polizeigewalt. Das ändert nichts daran, dass Berliner Polizisten weiterhin Menschen wie zuletzt Kupa Ilunga Medard Mutombo umbringen.
Unsere Handlungsempfehlungen lauten deshalb: Es braucht nachhaltige und strukturelle Veränderungen und sichere Aufenthaltsorte und Versorgung für alle. Dazu gehört die Abschaffung der "kriminalitätsbelastenden Orte". Dazu gehört, Ressourcen nicht in einen Polizeiausbau, sondern in Wohnraum, Bleiberecht, Gesundheitsversorgung, psychisch-soziale Unterstützung, warme gemeinschaftliche Orte und Verpflegung zu stecken.
Dafür müssen wir uns selbst organisieren und den Druck auf der Straße erhöhen, denn wir wissen dass die Sozialpolitik in einem kapitalistischen System niemals gute Lebensbedingungen für alle schaffen wird.