FAQ von ISKS
Verweis auf die Arbeit anderer abolitionistischer Aktivist*innen
Wir möchten an dieser Stelle auf die bereichernde Arbeit verschiedener abolitionistischer Aktivist*innen und Organisationen verweisen, auf der dieses FAQ aufbaut. Vor allem feministische und queere BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) Communities weltweit haben die Vorstellungen erarbeitet und deren Verbreitung erkämpft. Konzepte wie transformative Gerechtigkeit und Community Accountability (etwa: gemeinschaftliche Verantwortungsübernahme) durchbrechen die Straf- und Unterdrückungslogik eines kapitalistischen, rassistischen und sexistischen Staates und zeigen, wie ein anderes Zusammenleben konkret schon möglich ist und sein könnte. Auf diesem Wissen basiert unsere politische Arbeit als Gruppe.
Hinweis: Hinter dem FAQ findet ihr noch ein kleines Glossar.
1) Wie soll die Polizei besser werden, wenn man ihr die Ressourcen nimmt?
Die Polizei kann gar nicht besser werden, weil ihre Hauptaufgabe in der Sicherung der kapitalistischen Ordnung, sprich in der gewaltvollen Aufrechterhaltung von Ausbeutungs- und Eigentumsverhältnissen liegt.
Wir stellen also nicht nur das Handeln der Polizei, sondern vor allem ihre Funktion in der Gesellschaft infrage. Unter den rassistischen und kapitalistischen Verhältnissen heißt das vor allem, dass der Auftrag der Polizei in der Kontrolle, Überwachung und Kriminalisierung marginalisierter Bevölkerungsgruppen liegt. Das heißt auch, dass die Polizei den Begriff der Sicherheit und des Schutzes differentiell auslegt: vor allem schützt sie Profitintressen von Unternehmen und Immobilienkonzernen. Sie "schützt" die weiße, priviligierte Mehrheitsgesellschaft vor marginalisierten, armen, rassifizierten Menschen. Deshalb sagen wir, dass die Polizei nicht für ALLE Sicherheit schaffen kann und soll. Keine Diversifizierung und kein Antirassismus-Training ändert etwas an dieser Funktionslogik.
Daher beschäftigen wir uns mit der Frage, welche Institutionen tatsächlich Sicherheit schaffen können, indem sie die Ursachen für strukturelle Unterdrückung bekämpfen und transformative Gerechtigkeit schaffen. Klar ist, dass diese Insitutionen und Verhältnisse nicht ohne materielle und infrastrukturelle Ressourcen aufgebaut werden können. Deshalb fordern wir eine Umverteilung von Ressourcen, die gegenwärtig für die Stärkung polizeilicher Praktiken genutzt werden, um alternative Ansätze zur Lösung sozialer Probleme zu fördern. Durch die Umverteilung von Ressourcen sollen strafende Institutionen deligitimiert, und transformative Ansätze für den Umgang mit Gewalt legitimiert werden.
FAZIT: Der Polizei sollen Ressourcen entzogen werden, um sie Schritt für Schritt ab- und andere gewaltlose und straflogikfreie Institutionen aufbauen zu können.
2) Aber wir können doch nicht von heute auf morgen die Polizei abschaffen...
Wir arbeiten auf eine Gesellschaft zu, in der Polizei und Gefängnisse überflüssig sind, indem wir zivilgesellschaftliche, transformative und soziale Umgänge mit Gewalt einfordern. Das begreifen wir als Prozess, der im Hier und Jetzt beginnt und sich in einer Welt, deren Fokus nicht mehr auf Kapitalinteressen liegt, verwirklichen wird.
Hierfür gibt es kleine Schritte, die wir sofort umsetzen können und die sich einer strafenden Logik entziehen. Ein Beispiel ist die Entkriminalisierung sogenannter "Bagatelldelikte" - wie zum Beispiel Fahren ohne Fahrschein - in Verbindung mit positiven Veränderungen welche Mobilität für arme Menschen ermöglichen, wie zum Beispiel das 9€ Ticket. So können wir der Polizei systematisch Handlungsfelder entziehen und gesellschaftliche Lösungen ausarbeiten.
FAZIT: Nein, das können wir nicht. Wir können jeden Tag etwas dafür tun, das System, welches die Polizei hervorgebracht hat, zu verändern.
3) Warum soll die Polizei abgeschafft und nicht reformiert werden?
Wir sehen die Polizei, Gefängnisse und andere strafende Institutionen als machtsichernde Institutionen, die starke Kontinuitäten zu kolonialen und rassistischen Unterdrückungspraxen aufweisen. An der Geschichte der Polizei zeigt sich, dass Techniken des Polizierens (Verweis zu policing, gerne mit Pfad) und die Versicherheitlichung von kolonialem Besitz in den Kolonien getestet, und als Regierungsinstrument nach innen verlagert wurde. Der Schutz von Kapital und Herrschaftsverhältnissen geht daher auch immer mit der Unterdrückung von rassifizierten, armen und ausgebeuteten Menschen einher.
Deshalb sehen wir das rassistische Handeln der Polizei nicht als Fehler im System, sondern als logische Konsequenz des Polizierens.
Reformen, die einen Wandel innerhalb von strafenden Institutionen vorsehen, sind oft kosmetische Verbesserungen die nichts an der Funktion von Polizei und Gefängnissen ändern. Darüber hinaus machen Reformen diese Institutionen schwerer angreifbar, indem sie Teile liberaler Kritik aneignen. Wer zum Beispiel eine diverse Polizei als Lösung rassistischer Polizeigewalt fordert, kann mit einer Opfer-Täter-Umkehr als Rechtfertigung polizeilicher Praxen rechnen. So argumentierte beispielsweise Berlins Innensenatorin Spranger: "Rassismus erlebt auch die Polizei, jeden Tag.“, denn auch die Polizei habe inzwischen „über 30 Prozent Migrationsanteil“. Durch solche Verschiebungen stützen Reformen die Institutionen, die in ihrer Funktion und Logik Rassismus reproduzieren.
FAZIT: Wir sagen: rassistische Polizeigewalt ist kein Fehler im System, das System funktioniert genau so wie es gedacht ist. Deshalb fordern wir die Abschaffung strafender Einrichtungen.
4) Was denn sonst? Was ist die Alternative zur Polizei?
Wenn wir die Abschaffung von Polizei und Gefängnissen fordern, bedeutet das, dass wir zeitgleich eine gesamtgesellschaftliche Transformation anstreben. Das heißt, wir streben das Überwinden einer Gesellschaft an, welche die Polizei und Gefängnisse überhaupt braucht. Polizei und Gefängnisse dienen in erster Linie dem kapitalistischen Staat. Der größte Teil der Inhaftierten sitzt so nicht auf Grund von Delikten wie schweren Gewaltstraftaten oder Sexualverbrechen im Gefängnis – sondern wegen Straftaten die sich aus den Interessen von Staat und Kapital ergeben. Das bedeutet, dass eine Entkriminalisierung dieser Taten (per Definition) schon zu erheblich weniger Straftaten und somit auch zu weniger Polizeigewalt und weniger Menschen in Gefängnissen führen würde.
Wenn wir die Abschaffung von Polizei und Co als Teil eines Prozesses hin zu einer anderen Gesellschaft begreifen, geht es auch darum, die Ursachen die diesen Straftaten zu Grunde liegen, zu bekämpfen (z.B. Armut). Es braucht das Umverteilen von finanziellen Ressourcen weg von Polizei und Co, hin zu einer sozialen Infrastruktur mit Anlaufstellen die Unterstützung bei Gewalttaten und Konflikten für Betroffene und auch für gewaltausübende Personen bieten. Sowie mehr Ressourcen für Initiativen die Präventions – und Bildungsarbeit leisten.
Wir streben das Überwinden einer Gesellschaft und eines Systems an, welches nach strafenden Logiken funktioniert. Statt strafenden Logiken braucht es transformative Ansätze auch bei z.B. schwerwiegenden Gewalttaten. Selbstverständlich müssen Menschen, die Gewalt ausüben, Verantwortung für ihre Taten übernehmen und (potenziell) Betroffene vor dieser Gewalt geschützt werden. Es müssen aber auch die Ursachen Gewalttaten verstanden werden (z.B. Patriarchat, eigene Gewalterfahrungen von Täter*innen) und als strukturell und gesellschaftlich eingeordnet werden.
Nur dadurch kann ein Umgang mit Täter*innen von Gewaltverbrechen entstehen, der von gesellschaftlicher und kollektiver Verantwortung geprägt ist. Zeitgleich muss gegen diese gesellschaftlichen Strukturen vorgegangenen werden, um eine gesellschaftliche Transformation herbeizuführen, die weniger Gewalttaten hervorbringt.
FAZIT: Die Alternative zur Polizei sind Institutionen, die einen gewaltfreien Umgang mit Gewalt anstreben. Die Etablierung solcher Institutionen geht einher mit gesellschaftlichem Wandel.
5) Wenn es von heute auf morgen keine Polizei mehr gäbe, würde da nicht das totale Chaos ausbrechen?
Zuerst einmal: Wenn wir von der Abschaffung der Polizei reden, reden wir von einem Prozess, der sich länger ziehen wird, als nur "von heute auf morgen". Man könnte also auch sagen, dass wir die Polizei Stück für Stück überflüssig machen möchten. Der Polizei müssen Ressourcen und Kompetenzen entzogen werden, die in andere Stellen fließen können: Überall dort, wo soziale oder gesellschaftliche Probleme auftreten - seien es psychosoziale Notsituationen, zwischenmenschliche Konflikte, sexualisierte oder anderweitige Gewalt - braucht es vielfältige, spezifische Lösungen, die die Probleme "an der Wurzel anpacken".
Dies entspricht dem abolitionistischen Prinzip von "nicht-reformistischen Reformen": Kleine Schritte, die wir sofort umsetzen können und die sich einer strafenden Logik entziehen. Dabei geht der Entzug von polizeilichen Kompetenzen mit gesellschaftlichen Veränderungen einher. Ein Beispiel für eine nicht-reformistische Reform ist die Entkriminalisierung sogenannter "Bagatelldelikte", wie zum Beispiel dem Fahren ohne Fahrschein, verbunden mit einer Möglichmachung von Mobilität für arme Menschen, wie zum Beispiel dem 9€ (oder besser 0€-) Ticket.
Auch müssen Menschen, die Gewalt ausüben, zur Verantwortung gezogen werden und Gerechtigkeit muss hergestellt werden - nur eben nicht durch weitere Gewalt, Bestrafung, Folter und Einsperren, sondern durch Konzepte von transformativer Gerechtigkeit. (Querverweis auf transformative Justice).
Wir sind also weder naiv, noch träumerisch.
FAZIT: Die Abschaffung der Polizei wird nicht von heute auf morgen geschehen und führt allein auch nicht zur Abschaffung von Gewalt und anderen gesellschaftlichen Problemen. Eine polizeifreie Gesellschaft ist für uns nicht gleichbedeutend mit einer Gesellschaft, in der alle machen, was sie wollen, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen. Im Gegenteil: Wir brauchen alternative Formen der Gerechtigkeit und Institutionen, die für Sicherheit für ALLE sorgen. (siehe auch Abschnitt 4 "Was denn sonst?")
6) Wenn es keine Polizei mehr geben würde, wer verhindert dann rechte Strukturen und Gewalt?
Aktuell ist unser Zusammenleben in einem kapitalistischen System von sozialer Ungleichheit, Konkurrenzdenken und den damit einhergehenden Feindbildern geprägt. Rechtes Gedankengut entsteht und wird verstärkt unter anderem dadurch, dass das bestehende System durch die Unterdrückung von z.B. FLINTA*(Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) und migrantischen Personen aufrecht erhalten werden kann. Es benötigt soziale Veränderungen, die das rassistische, sexistische und ableistische System, in dem wir leben, angreifen. Das heißt nicht, dass rechte Ideologien einfach verschwinden. Aber wir wollen in einer antifaschistischen Gesellschaft leben, in der Rechte keine Chance haben und vermeintliche Lösungen für gesellschaftliche Probleme liefern. Ein Schritt in diese Richtung ist der Kampf für eine polizei- und straffreie Gesellschaft.
Denn die Polizei bietet jedenfalls keinen Schutz vor rechter Gewalt und Nazis. Zahlreiche Beispiele, wie der Neukölln Komplex (1), haben gezeigt, dass sich Betroffene nicht darauf verlassen können, von der Polizei geschützt oder auch nur ernst genommen zu werden. Das liegt auch daran, dass die Polizei (wie alle Sicherheitsbehörden) ein Sammelbecken für Rechte, Querdenker*innen, Nazis und deren Gedankengut ist. Zahlreiche Fälle zeigen, dass rechtes Gedankengut in der Polizei geduldet und verbreitet wird (2), die Polizei gut vernetzt mit verschiedenen rechten Akteur*innen ist und sich immer wieder bewaffnete rechte Netzwerke aus der Polizei heraus formieren (3).
Aus diesen Beispielen wird klar, dass die Polizei nicht zufällig immer wieder Ort von rechten und rassistischen Umtrieben ist. Die Polizei als Institution und das Polizieren begünstigen faschistische Ideologien. Die hierarchische, quasimilitärische Struktur der Behörde einerseits, und das gewalt- und kontrollorientierte Sicherheitsverständnis, dass den Arbeitsalltag von Polizist*innen prägt andererseits, züchten solche Tendenzen gewissermaßen automatisch.
Polizist*innen verstehen sich nicht mehr als Teil der Gesellschaft, sondern als Wächter*innen über sie. Abweichungen von der Norm werden als Angriff auf den eigenen, in unserer kapitalistischen Gesellschaft ja auch legitimierten, Kontrollanspruch verstanden. Aus dieser Struktur ergibt sich der Kern einer faschistischen Perspektive, der auch in der Polizeirhetorik immer wieder zu beobachten ist: Eine Einteilung der Gesellschaft in die eigentlichen, wahren, rechtschaffenden Deutschen, die es zu beschützen gilt, und die außenstehenden Gefährder*innen, denen der Bürgerstatus, und damit selbst die grundlegendsten Rechte, abgesprochen werden. Die deswegen anlasslos kontrolliert, abgeschoben, eingesperrt, verprügelt oder umgebracht werden. Wenn Schutz und Sicherheit von Grund auf anders gedacht werden und sich das auch im Aufbau der zuständigen Strukturen widerspiegelt, können wir also jedenfalls verhindern, dass unsere "Sicherheitsbehörden" eine faschistische Weltanschauung aktiv befördern.
(1) Weitere Infos zum Neukölln Komplex z.B. hier: Neukölln Watch oder Entnazifizierung Jetzt!
(2) TAZ: Skandal um rechte Chats in Hessen
(3) Beispiel Nordkreuz/ Hannibal-Netzwerk: Schwerpunkt: Hannibals Schattennetzwerk und Hannibals Schattenarmee, Nordkreuz und der Fall Franco Albrecht
FAZIT: In einer polizeifreien Gesellschaft wie wir sie uns vorstellen, wird es weniger aber bestimmt immer noch Faschismus geben, der natürlich bekämpft werden muss. Er wird verfolgt und mit der Gewalt die von Faschist*innen ausgeht, transformativ umgegangen. Wir streben hier keinesfalls autonome Selbstverwaltungen im Umgang mit Gewalt an, sondern viel mehr Institutionen, welche auf emanzipatorischen und von einer Straflogik befreiten Ideen aufbauen. Da straffreie Institutionen grundsätzlich anders aufgebaut sind, bieten sie keinen Nährboden für Faschismus in den eigenen Reihen.
7) Was machen wir mit Amokläufer*innen und Terrorist*innen?
Eine Person, die einen Amoklauf oder eine terroristische Tat plant oder durchführt, hat mit großer Wahrscheinlichkeit einen sehr hohen Bedarf an psychologischer Betreuung. Dieser wird durch Isolation im Knast und der damit verbundenen Entwurzelung noch akuter. Auch hier müssen stattdessen professionalisierte Gruppen, Netzwerke und Einrichtungen geschaffen werden, welche die Personen dazu bringen, sich ernsthaft mit ihren Taten auseinanderzusetzen. Hierbei muss der Schutz anderer immer im Vordergrund stehen und eine Aufarbeitung des Geschehenen unausweichlich sein. Es müssen durch therapeutisches Einwirken Methoden und Lösungen gefunden werden, wie die Person aufhört, einen so zerstörerischen Hass auf andere und sich selbst zu empfinden.
Zusätzlich sind die wichtigsten Aspekte einer zielführenden Prävention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Oft handeln die Täter*innen aus rassistischen, misogynen und/oder rechtsradikalen Motiven. Es braucht also eine antirassistische, antisexistische und antifaschistische Gesellschaft, die jedes Erstarken eines solchen Hasses auf bestimmte Gruppen bekämpft und dekonstruiert. Die bereits erwähnten Anlaufstellen für Täter*innen sollen hier noch einmal in ihrer Wichtigkeit unterstrichen werden. Oft liegt bei Täter*innen eine Vereinzelung und Vereinsamung vor, welche zu einem früheren Zeitpunkt in einer solidarischen und umsichtigen Gesellschaft vermeidbar gewesen wären. Im Leben dieser Personen haben zumeist auch irgendwann eigene unverarbeitete, schwerwiegende Gewalterfahrungen stattgefunden.
Abschließend ist noch zu sagen, dass Forschung für alle angesprochenen Bereiche (Betroffenenunterstützung, Täter*innenarbeit und Prävention) von Nöten ist, um bessere und zielführendere Lösungen anstelle von nachträglichem Wegsperren zu finden.
FAZIT: Die gesellschaftlichen Ursachen für terroristische Taten oder Amokläufe - wie z.B. ein rassistisches/ sexistisches Weltbild, Vereinzelung und Verhältnisse die psychische Krankheiten begünstigen - gilt es zu bekämpfen. Zeitgleich müssen wir Strukturen und Institutionen schaffen, in denen die Täter*innen sich ohne eine Straflogik über einen längeren Zeitraum wirklich mit ihren Taten auseinandersetzen und psychologische Begleitung erhalten. Dabei steht der Schutz anderer sowie der Betroffenen immer im Vordergrund.
8) Was machen wir dann bei sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung? Sollen die Täter*innen straflos davonkommen? Wie schützen wir die Betroffenen effektiv vor Gewalttäter*innen, wenn man sie nicht mehr einsperren kann?
Zuallererst ist festzustellen, dass der Ist-Zustand für Betroffene von (sexualisierter) Gewalt in Deutschland dramatisch schlecht ist. Es werden nur 15% der Vergewaltigungen in Deutschland zur Anzeige gebracht und davon wiederrum nur 7,5% verurteilt (1). Von Gewalt Betroffene haben berechtigterweise kein Vertrauen darauf, von Polizei und Justiz Hilfe und Unterstützung zu erhalten, wenn sie sich trauen eine Anzeige gegen den*die Täter*in zu stellen.
Unser Ziel ist es nicht den*die Täter*in zu bestrafen, sondern einerseits der betroffenen Person, die Unterstützung und Aufarbeitung entgegenzubringen, die diese zum möglichst guten Weiterleben braucht (therapeutisch, finanziell, mit oder ohne Wiedergutmachung). Andererseits mit dem*der Täter*in in einen Prozess zu gehen, sodass es zu keiner erneuten Gewaltausübung kommt. Beides sind Dinge, die vom momentanen System verunmöglicht werden.
Im besonderen FLINTA*s (Frauen, Lesben, Inter-, Nichtbinäre-, trans- und agender-Personen), die das größte Risiko haben von sexualisierter Gewalt betroffen zu sein, brauchen anonyme und barrierearme Schutzräume, wie Frauen*häuser mit ausreichenden Kapazitäten - bundesweit fehlen über 14.000 Plätze (2). Die Betroffenen sollten die Möglichkeit haben mit ihren eigenen Vorstellungen, Ängsten und Wünschen ihren Schutz und die Verarbeitung des Erlebten mitzugestalten und ihre Forderungen sollten politisch Gehör finden.
Auch für Täter*innen oder jene, die Angst haben es zu werden, müssen Anlaufstellen geschaffen werden, an die sie sich wenden können und bei denen sie psychologisch betreut und begleitet werden. An Täter*innen wird die unausweichliche Forderung gestellt werden in einen angemessenen Prozess zu gehen und sich mit den eigenen Taten auseinanderzusetzen. Hierbei werden Tat und Verhalten aufgearbeitet und damit das Wiederholungsrisiko tatsächlich verringert. Anders als es durch Isolation im Knast momentan geschieht.
Zusätzlich steht die Prävention im Mittelpunkt. Dazu gehört die Verbreitung einer Consens Culture und der Kampf gegen Misogynie und Sexismus. Vor allem die Körper von FLINTA*-Personen werden häufig als Objekte gesehen und es wird gesellschaftlich immer noch viel zu sehr akzeptiert, wenn patriarchale Männer in dem Glauben leben irgendeinen Anspruch auf diese Körper zu haben. Diese Mechanismen sind für den Kapitalismus nötig und stabilisierend und werden deshalb nicht konsequent bekämpft.
FAZIT: Es brauch neben Prävention und Schutzräumen für Betroffene auch eine transformative Begleitung von Täter*innen die auch einen kurzfristigen Ausschluss als Schutz vor mehr Gewalt bedeuten kann.
(1) https://www.tagesschau.de/investigativ/report-muenchen/verurteilungen-vergewaltigung-101.html
9) Was passiert mit organisierter Kriminalität, Menschenhandel, Zwangsprostitution etc. wenn sich die Kripo nicht mehr drum kümmert?
Organisierte Kriminalität und systematische Gewalt - auch diese Formen der Gewalt richten üblen Schaden in der Gesellschaft an.
Natürlich geben wir uns nicht der Illusion hin, dass es in einer Welt ohne Polizei, ohne kapitalistische Ausbeutung, Patriarchat und Nationalgrenzen keine organisierte Kriminalität und Gewalt mehr gäbe. Trotzdem entsteht ein großer Teil dieser schweren Menschenrechtsverletzungen aufgrund eines Systems, in dem es nicht allen Menschen gestattet ist, legal und visumsfrei zu immigrieren und daher illegale Fluchtrouten dazu einladen, Profit aus Menschen in Not zu schlagen. Ein System, in dem nicht alle denselben Zugang zu Arbeit beziehungsweise Existenzsicherung haben, lädt dazu ein, Profit durch illegale Geschäfte zu machen. Ein System, in dem Drogen kriminalisiert werden; in dem weibliche Körper der Lust- und der Profitsteigerung von Männern dienen... - wir sind keine Träumer*innen. Uns ist bewusst, dass es ein langer Weg ist, eine funktionierende Welt zu schaffen, in der all diese begünstigenden Strukturen abgeschafft sind. Gewalt und Leid, so zynisch es klingt, wird es immer geben.
Gleichzeitig muss nochmal darauf hingewiesen werden, dass das größte Ausmaß organisierter Kriminalität unserer Meinung nach durch den Staat und die Polizei selbst erfolgt: Die EU ist für das Sterben im Mittelmeer und an den Außengrenzen verantwortlich. Die Polizei schiebt Menschen in Kriegsregionen ab. Rechte Netzwerke in den Sicherheitsbehörden lassen tausende Waffen aus ihren Beständen verschwinden, um sich auf den "Tag X" vorzubereiten. Dagegen ist die medial extrem aufgeladene und überschätzte "Clankriminalität" aus Neukölln ein Klacks.
Wir brauchen natürlich weiterhin Institutionen, die Strukuren von Menschenhandel und Zwangsprostitution aufdecken und verfolgen. Die große Frage, die wir uns als Abolitionist*innen dann stellen, ist, was passiert mit den Verantwortlichen, wenn sie erstmal aufgeflogen sind? Knast und Strafe? Hilfreiche Entschädigungen für Betroffene und spezielle Programme, um die Täter*innen zur Reflektion anzustoßen, erscheinen uns sinnvoller. Und: Die, die ganz unten in so einem Netzwerk auf der Straße oder an den Grenzen arbeiten, machen das meist eh nur, weil sie kaum andere Möglichkeiten der Existenzsicherung haben. In einer Gesellschaft mit Bewegungsfreiheit und gesicherter Existenz wäre niemand so sehr dazu verleitet, sich an organisierter Kriminalität zu beteiligen, wie heute.
Wenn dann noch Drogen legalisiert, und damit kontrollierbarer gemacht würden, Rüstungskonzerne aufhören würden, Waffen in Krisenregionen zu exportieren, in denen sie schnell in die Hände von Kartellen etc. geraten, dann wären vielen menschenrechtsverletzenden Gruppen schonmal Steine in den Weg gestellt.
Wir müssen die Polizei überflüssig machen. Aber klar ist: Es wird nie überflüssig sein, über gesellschaftliche Lösungen für Gewalt nachzudenken.
FAZIT: Systembedingte Menschenrechtsverletzungen wird es in einem anderen System weniger geben. Es geht insgesamt mehr Gewalt von Staaten und Konzernen als von Zivilist* innen aus. Trotzdem muss organisierte Kriminalität weiterhin bekämpft werden.
10) Wer soll denn dann in akuten Gewalt- und Krisensituationen reagieren wenn nicht die Polizei?
Es sollte in jedem Bezirk 24/7h erreichbare Hotlines geben, die Deeskalationsteams entsenden können. Sie wären darauf spezialisiert, Menschen in psychischen Krisen zu stabilisieren, und zwischenmenschlicher Gewalt zu begegnen. Krisendienste, die ohne bewaffnete, uniformierte, gewaltbereite Polizeibegleitung auskommen. Die meisten Personen in Krisen sind vor allem für sich selbst eine Gefahr, sollte die Situation Aussenstehende gefährden ist es selbstverständlich Priorität diese zu schützen. Momentan ist dies nicht der Fall wie sich dieses Jahr wieder an Dutzenden Morden durch die Polizei in Deutschland zeigte. Menschen die sich in einem psychischen Ausnahmezustand oder ähnlichem befanden und höchstens für sich selbst eine Gefahr darstellten, waren am Ende des Polizeieinsatzes grundlos tot.
Gleichzeitig finden wir es auch wichtig, eine solidarische statt vereinzelte Gesellschaft aufzubauen, wodurch die Verantwortung für Deeskalation und Konfliktschlichtung nicht mehrheitlich ausgelagert wird. Die Menschen, die daneben stehen, Zeug*innen von einer eskalierenden Situation werden, sind dazu angehalten, zu intervenieren, solange sie es nicht selbst gefährdet. Genügend kostenlose Beratungsstellen sollten für die Verarbeitung von Gewalterlebnissen und Krisensituationen zur Verfügung stehen.
Aber auch hier wieder: Gäbe es genügend Gewaltprävention, beispielsweise auch in Bildungsinstitutionen verankert; gäbe es ausreichend Zugang zu Therapieplätzen, zum Gesundheitssystem, zu stationären Krisen- und Suchteinrichtungen - und wären die Standards in diesen Einrichtungen höher, dann würden sich viel weniger Menschen selbst- oder fremdgefährdend verhalten.
Und, noch eine Abstraktion weiter: Wir sind der Überzeugung, dass es weniger psychische Erkrankungen in einer Gesellschaft gäbe in welcher der Zugang zu Existenzsicherung & einem guten Leben für Alle gewährleistet wäre. Psychische Erkrankungen entstehen auch durch Traumata auf Fluchtrouten, in Kriegen, oder patriarchal-gewaltvollen Familienverhältnissen. All das müsste nicht sein!
FAZIT: Abgesehen davon, dass die Polizei nicht die richtige Institution ist, um auf Menschen in Krisensituationen zu reagieren, da sie im Zweifel mit Gewalt eskaliert, würde es in einer weniger individualisierten Gesellschaft auch weniger psychische Erkrankungen geben. Für Menschen in Krisensituationen werden Institutionen wie Krisendienste, aufsuchende Unterstützung etc. ausgebaut.
11) Polizeigewalt ist in Deutschland nicht so schlimm wie in anderen Ländern, z.B. den USA …
Es ist beeindruckend, wie viele Menschen nach dem Mord an George Floyd in Deutschland auf die Straßen gegangen sind. Das hatte unterschiedliche Gründe, aber eine Vermutung ist auch, dass es einfacher ist, gesellschaftliche Probleme zu externalisieren. Diese in andere Länder zu exportieren, statt zu schauen, was hier schief läuft. Denn, wo waren die Massen bei den rassistischen Polizeimorden an Oury Jalloh, Hussam Fadl, oder Kupa Ilunga Medard Mutombo?
Rassistische Polizeigewalt hat in Deutschland genauso Konjunktur wie woanders. Natürlich hat jedes Land nochmal eigene gesellschaftliche Gegebenheiten und historische Verwachsungen. Die Polizei ging in den USA direkt aus den sogenannten Sklavenpatrouillen hervor - die Funktion, Schwarze Menschen zu verfolgen und rassistische Strukturen aufrecht zu erhalten, ist also nochmal offensichtlicher bzw. auch einfach besser aufgearbeitet. Der industrielle Gefängniskomplex, also das Profit machen aus Gefängnissen und Insassen, ist ein Phänomen, welches vor allem in den USA besonders stark sichtbar ist. Krasse Waffengewalt durch die lockere Waffenkultur der USA ist ein spezifisches Problem.
Trotzdem sind auch in Deutschland, wie die Kampagne Death in Custody recherchiert hat seit 1990 225 nicht-weiße und von Rassismus betroffene Menschen durch Polizeigewalt oder in Gewahrsam ums Leben gekommen. (1)
Betroffene berichten immer wieder von alltäglichen Polizeikontrollen und der physischen wie psychischen Gewalt, die mit diesen einhergeht. Rechtsextreme Strukturen in der Polizei stellen eine große Gefahr dar. Es kommt darauf an, wem zugehört, bzw. welche Erfahrungen sichtbar werden. Zu sagen, dass es anderswo schlimmer ist, relativiert diese Erfahrungen nicht nur, sondern verschiebt auch die Verantwortung.
FAZIT: Klar ist: In Deutschland gibt es ein massives #Polizeiproblem. Also lasst es uns hier und jetzt verändern, statt zu grübeln, wo es vermeintlich noch schlimmer als hier ist.
(1) https://doku.deathincustody.info/ (Stand 2023)
12 ) Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, der alle Menschen gleichermaßen schützt. Die Polizei dient dem Grundgesetz.
Eine, wenn nicht DIE Hauptaufgabe der deutschen Polizei ist der Schutz von Kapital und Eigentum (siehe beispielsweise Lützerrath). Dafür wird eine öffentliche Ordnung, die auf dem Grundgesetzt fußt, durchgesetzt, die z.B. Obdachlosigkeit durch Zwangsräumungen produziert, Menschen in Krisengebiete abschiebt, aber nicht die Verbrechen großer Konzerne und Banken (siehe Cum-Ex und etc.) verfolgt.
Auch ist unser Demokratieverständnis ein anderes: es können 14% der Bevölkerung nicht wählen, obwohl sie Steuern zahlen und seit etlichen Jahren hier leben (1). Es werden eindeutige Volksentscheide nicht durchgesetzt (siehe Deutsche Wohnen & Co enteignen). Trotz einer Pandemie wird im sozialen und medizinischen Sektor gespart, aber über Nacht sind Miliarden für Bundeswehr und Aufrüstung verfügbar.
Häufig gilt das Grundgesetz auch nur für einige Menschen: wenn bspw. nicht-weiße Personen racial profiling erleben, Personen abgeschoben werden, Menschen in psychischen Ausnahmesitutationen Polizeigewalt erleben oder Betroffene von häuslicher oder patriachaler Gewalt nicht ernstgenommen werden.
In Kooperation mit Frontex ist auch die deutsche Polizei für das Sterben im Mittelmeer und die illegalen und tödlichen PushBacks verantwortlich. An den europäischen Außengrenzen löst sich endgültig jede Illusion von einer gerechten und demokratischen Exekutive auf, welche die Menschenwürde achtet.
FAZIT: Für uns ist also klar: weder Polizei noch das Grundgesetz sollen oder wollen alle Menschen gleichermaßen schützen. Das Grundgesetz dient dem Aufrechterhalten der kapitalitischen Ordnung und funktioniert nach dem Prinzip der Nationalstaatlichkeit. Die Polizei hat die Funktion dieses durchzusetzen anstatt Sicherheit für alle zu schaffen.
(1) Mehr Infos bei der Initiative Nicht ohne uns 14%
13) Das ist doch Pauschalisierung! Nicht alle Cops sind schlecht. Ich kenne sehr nette Cops, die Leuten nur helfen wollen.
Unsere Kritik der Polizei und Forderung nach der Abschaffung der Polizei richtet sich nicht an Einzelpersonen. Es geht um die Funktion und Aufgabe der Polizei an sich. Die Funktion und Aufgabe der Polizei ist und bleibt es, die Interessen des kapitalistischen Staates zu verteidigen; genauer gesagt: Kapital und Eigentum zu schützen und die kapitalistische Ordnung aufrechtzuerhalten.
Konkret bedeutet das, dass auch ein privat netter Cop daran beteiligt ist Kapitalinteressen von Großkonzernen mit Gewalt zu verteidigen, wie beispielsweise gerade in Lützerath geschehen. Und dann anderentags einen wohnungslosen Menschen von der Parkbank zu vertreiben, jemanden, der kein Geld für eine Fahrkarte hatte in den Knast zu stecken, eine Nazi-Demo zu schützen, einen Menschen in den Abschiebeflieger zu führen oder eine Zwangsräumung durchzuführen. Das ist einfach die Funktion und Aufgabe der Polizei, es geht nicht um persönliche Meinung, sondern um das Durchsetzen von rassistischen und kapitalistischen Gesetzen.
Glossar
Gewalt
Wir verstehen Gewalt grundsätzlich als sozial erlernte Verhaltensweise und als Ausdruck von gesellschaftlichen Macht - und Herrschaftsverhältnissen, die Gewalt produzieren. Gewaltvolles Handeln ist damit nicht einfach das Ergebnis einer „kranken“ oder „verrückten“ Person, sondern sozial vermittelt. Wir gehen deshalb davon aus, dass wir alle in der Lage sind, Gewalt auszuüben und uns an den unterdrückenden Strukturen zu beteiligen. Wir leugnen also nicht, dass es Gewalt gibt. Als Abolitionist*innen geht es uns vielmehr darum, die Institutionen abzuschaffen, die Gewalt reproduzieren und bestrafen und gleichzeitig die Verhältnisse so zu transformieren, dass wir einen ganzheitlichen Umgang mit Gewalt finden, der Gewalt verhindert und nicht reproduziert und der Betroffene unterstützt.
Auch wenn unsere Kritik insbesondere staatliche Institutionen im Blick hat, ist uns als Abolitionist*innen klar, dass Gewalt nicht nur von staatlichen Akteuren ausgeht. Denn Gewalt spielt sich in sozialen Beziehungen ab. Wir setzen uns deshalb mit allen Formen interpersoneller Gewalt auseinander, zu denen sowohl psychische und körperliche Gewalt als auch sexualisierte und vergeschlechtlichte Gewalt gehören.
Wir leugnen nicht, dass es Gewalt gibt und dass diese ein gesellschaftliches Problem darstellt. Im Gegenteil argumentieren wir (anders als die Polizei), dass wir alle grundsätzlich die Fähigkeit haben Gewalt auszuüben. Wir sehen Gewalt jedoch auch als strukturell bedingt und erkennen, dass gewaltvolle Umstände auch zu mehr Gewalt führen. Die Frage ist also nicht, wie wir Gewalt an sich abschaffen können, sondern wie wir Strukturen, die Gewalt begünstigen durch einen ganzheitlichen Umgang mit Gewalt ersetzen können. In einer Gesellschaft, in der wir gewaltausübende Personen wegsperren und isolieren, ist es uns nicht möglich einen guten Umgang mit Gewalt zu finden, der die Bedürfnisse der Betroffenen in den Vordergrund stellt.
Wir müssen gesellschaftliche Umstände schaffen, in denen wir aus dieser Erfahrung lernen, Betroffene die Unterstützung erhalten, die sie brauchen, um einen Umgang mit dem Erlebten zu finden und in denen wir lernen, unsere Taten zu reflektieren und ändern zu können.
- See also: Was macht uns wirklich sicher? Toolkit
- See Also: On Violence: Diskussion mit abolitionistischen Initiativen
Abolitionismus
Abolitionismus bedeutet wortwörtlich „Aufhebung“ und bezeichnet eine soziale Bewegung und eine Gesellschaftstheorie, die die Abschaffung von Polizei, Gefängnissen und anderen strafenden und kontrollierenden Institutionen fordert. Zum abolitionistischen Denken gehören Forderungen wie Defund the Police, die das Ziel haben, finanzielle Ressourcen nicht in die Polizei zu stecken, sondern in Bildung, Gesundheitsversorgung und andere Strukturen der Fürsorge zu investieren. Seinen Ursprung hat der Abolitionismus im Kampf gegen die unterdrückenden Institutionen der Sklaverei in den USA. Abolitionist*innen beschränken sich in ihrer Kritik nicht auf den Widerstand gegen Polizei & Co, sondern fordern andere soziale Institutionen, um für Sicherheit zu sorgen, zwischenmenschliche Konflikte zu lösen und Betroffene von Gewalt zu unterstützen. Solche Alternativen sind keine Utopien, sondern werden oft schon von Communities praktiziert, die sich nicht darauf verlassen können, dass die Polizei für sie Sicherheit schafft. Beispiele hierfür sind etwa Community Accountability oder Transformative Justice.
- See Also: Deutschlandfunk
- The Abolitionist Library (ENG)
- Hast du alles? Picknickkorb Abolitionismus
- Podcast mit Simin Jawabreh
- CILIP Abolitionismus:
Transformative Gerechtigkeit
Hinter "Transformative Justice" steht die Überzeugung, dass staatliche Justizsysteme strukturell ungerecht sind und sich Gerechtigkeit nicht durch Straf- und Schuldlogiken herstellen lässt. Ansätze Transformativer Gerechtigkeit haben deshalb das Ziel, Gewalt so zu begegnen, dass Sicherheit und Verantwortungsübernahme gewährleistet werden, ohne dabei auf staatliche und systemische Gewalt, Straflogiken oder Inhaftierung zurückzugreifen. Stattdessen ermöglichen die Umfelder Personen, die von Gewalt betroffen sind, Sicherheit und Wiedergutmachungsprozesse. Das Umfeld sorgt auch dafür, dass die Gewaltausübung sofort unterbrochen wird und gewaltausübende Personen zur Verantwortungsübernahme gebracht, sowie in Wiedergutmachungsprozesse eingebunden werden.
Community Accountability
Community Accountability oder Kollektive Verantwortungsübernahme bezeichnet Methoden und Konzepte, in denen eine Gemeinschaft gemeinsam und selbst organisiert übergriffiges Verhalten vorbeugt oder mit einer Gewaltsituation umgeht. Dazu gehören die vier Schritte Prävention, Intervention, Wiedergutmachung und Transformation (vgl. Brazzell 2019: Was macht uns wirklich sicher?). Konkret bedeutet dies etwa, dass Personen, die Gewalt ausgeübt haben, mit Hilfe des Umfelds in Prozesse der Wiedergutmachung eingebunden werden. Das Umfeld kann außerdem betroffene Personen unterstützen und Methoden zur Prävention zukünftiger Gewaltausübung entwickeln. Dazu kann auch gehören, als Gemeinschaft Werte, Praxen und Strukturen zu schaffen, die sich gegen Übergriffe und Gewalt richten. Community Accountability unterscheidet sich damit von Methoden und Denkweisen, die sich auf die Polizei oder das Justizsystem verlassen, um zwischenmenschlicher Gewalt zu begegnen. Stattdessen übernimmt das direkte Umfeld und die Community der betroffenen Person oder/und der gewaltausübenden Person Verantwortung für den Umgang mit Gewalt.
- See Also: Das Risiko Wagen / Taking Risks by CARA
DE also available in english and turkish - Kollektive Verantwortungsübernahme - community accountability
Polizieren / Policing
Policing oder Polizieren meint die Tätigkeit des Kontrollierens und Bestrafens, losgelöst von dem*der Polizeibeamt*in. Das kann beispielsweise die Nachbarin sein, die aufpasst, dass sich alle an die Regeln halten, und ansonsten die Polizei ruft. Der polizierende Blick, den alle Menschen gelernt haben, ist durch Rasse, Klasse und Gender geprägt. Das Verhalten beispielsweise Schwarzer Menschen wird auch durch weiße Mitmenschen stärker unter die Lupe genommen und schneller als gefährlich oder unangepasst wahrgenommen. Damit beteiligt sich die Zivilgesellschaft indirekt auch an der polizeilichen Arbeit.